Ich habe meine Ausbildungen im Pferdebereich vor allem für mich selbst gemacht – um Abläufe besser zu verstehen, die Anatomie von Pferd und Reiter zusammenzubringen und am Ende schlichtweg besser reiten und bewusster Entscheidungen für mein Pferd treffen zu können. Ich habe wahnsinnig viel dabei gelernt, weil mein Kopf eben so tickt: Ich spiele die Theorie immer wieder durch, und je besser mein Verständnis wird, desto mehr profitiere ich in der Praxis.
Aber das i-Tüpfelchen bleibt der Unterricht bei anderen. Und am vergangenen Wochenende durfte ich endlich selbst in den Genuss einer Reitstunde nach den Grundsätzen der Reiter bewegen-Methode kommen. Mein Trainerkollege Patrick Gottschling war bei uns und hat Hanni und mir reichlich Input da gelassen. Das Schöne: Unsere Köpfe funktionieren ziemlich ähnlich, und auch unsere Unterrichtsprinzipien ähneln sich – zumindest ein Stück weit.
Das Wochenende davor stand im Zeichen eines Aufbaulehrgangs in Mardorf. Thema: neurozentriertes Training und seine Anwendung im Unterricht.
Im Kern geht es beim neurozentrierten Training um Übungen, die das Nervensystem gezielt ansprechen – mit dem Ziel, Körperwahrnehmung, Bewegungsfähigkeit und Koordination zu verbessern. Schon von diesem Wochenende hatte ich einiges mitgenommen, das ich in meinen Alltag integrieren konnte.
Aber wie so oft: Ein bisschen Anleitung schadet nie. Und auch die beste Eigenwahrnehmung braucht hin und wieder einen Blick von außen. Dafür war Patrick – mit seinem riesigen Erfahrungsschatz – genau der Richtige.
Reiten statt korrigieren – der Körper als Schlüssel
Mein persönliches Baustellen-Thema ist die Beinlage. Dadurch entsteht oft zu viel Unruhe im Rumpf. Zusätzlich macht meine linke Hüfte gern mal Ärger und mag sich nicht so recht öffnen. Hannis breiter Rumpf hilft dabei natürlich nicht gerade. Und obwohl sie „nur“ ein halbes Kaltblut ist, bringt sie ordentlich Bewegungspotenzial mit – das will aber erstmal herausgekitzelt werden.
Vor allem bei mir selbst, denn das Geniale an dieser Arbeit ist: Mit der Veränderung im eigenen Körper fällt es dem Pferd plötzlich viel leichter. Wir kommen mehr ins Reiten – und weniger ins Korrigieren!
Als ich Patrick dann meine Probleme schilderte und er meinen Sitz analysierte, fiel das erste entscheidende Stichwort. Ich sagte, dass ich oft gar nicht richtig fühle, wo mein Bein liegt – und wenn ich später Videos sehe, bin ich dann immer wieder erstaunt, wie es tatsächlich aussieht. Die Lösung war erstaunlich simpel: Patrick klopfte meine Wade und meinen Fuß mit einem kleinen Ball ab, um die Nerven dort zu aktivieren. Besonders im Leichttraben habe ich den Unterschied sofort gespürt – selbst beim Zulegen blieb mein Rumpf stabil, weil meine Sprunggelenke nun wirklich federn konnten!
Man sieht, wie alles miteinander verbunden ist – es ist einfach faszinierend!
Ähnlich lief es bei meiner Hüfte. Dieses Thema kann ich besser kompensieren als das mit dem Bein, aber Wendungen und Traversalen nach links fallen mir schwerer. Ich brauche länger, um die Hüfte zu öffnen und das Gewicht dorthin zu verlagern. Auch hier reichte ein einfaches Bewusstmachen der beteiligten Muskulatur – in dem Fall der Vorderseite des Oberschenkels – und ich konnte sofort eine Veränderung spüren.
Was ich besonders an diesen Techniken mag: Viele lassen sich auch ganz allein umsetzen. Ich werde das beim nächsten Mal filmen, um es besser überprüfen zu können. Nicht immer funktioniert es so einfach – aber für mich war das die fehlende Verbindung. Ich hatte in letzter Zeit viel an Beweglichkeit und Kraft gearbeitet, aber das Nervensystem hatte scheinbar einfach noch nicht „mitgemacht“.
Ein weiteres Puzzlestück waren Übungen, die den Blick ansprechen. Ja, das klingt erstmal merkwürdig. Aber wenn man den Schritt über diese Hürde gemacht hat, ist der Effekt erstaunlich.
Durch sogenannte Blicksprünge – also schnelle Wechsel zwischen zwei Punkten (in unserem Fall Kärtchen mit Buchstaben) – konnte sich meine linke Körperseite besser stabilisieren. Die Übung: den Blick hin und her springen lassen, immer nur so lange fixieren, bis das Bild scharf ist, dann zur nächsten Seite. Das Nervensystem muss dadurch sein Stabilisationsmuster überdenken – mit überraschenden Ergebnissen.
so erklärt Patrick die Wirkung
Wir haben durch die Blicksprünge deine Sakkaden-Tätigkeit verbessert. Sakkaden dienen dazu, das Bild zu stabilisieren und eine scharfe Wahrnehmung zu ermöglichen, insbesondere wenn sich das Pferd oder der Reiter während des Reitens bewegt.
Sakkaden wiederum sind schnelle, ruckartige Bewegungen des Augapfels, die dazu dienen, den Fixationspunkt zu wechseln.Sakkaden helfen dabei, die visuelle Wahrnehmung zu stabilisieren und die Bewegungsunschärfe zu reduzieren, indem sie die Augen schnell auf den neuen Fixationspunkt richten.
Beispiele:
Wenn sich das Pferd bewegt, oder wenn der Reiter den Blick auf ein bestimmtes Hindernis oder Ziel richtet, werden Sakkaden eingesetzt, um den Fokus zu verändern.In dem Fall haben wir also deine Blickstabilisierung verbessert und damit deinen Körper dazu gebracht seine Kompensationsspannungen zu lösen und dich so wieder gerade zu bekommen.
Mit Achtsamkeit und Augenmaß
Also: von links stabil und rechts beweglich – hin zu beidseitig beweglich! Natürlich gibt man dabei erstmal ein bisschen Stabilität ab. Deshalb ist es wichtig, solche Übungen nur zu machen, wenn man sich sicher fühlt. Und dann auch nur in Gangarten und Lektionen, die keine Überforderung erzeugen. Wenn das Nervensystem in einem sensiblen Moment eine negative Erfahrung macht, kann das tiefgreifende Folgen haben. Daher lieber vorsichtig herantasten – und am besten erstmal am Boden starten!
Zum Schluss noch ein Gedanke: Es gibt bisher keine gesicherten wissenschaftlichen Belege für diese Ansätze – aber viele Menschen, die damit experimentieren. Manche Übungen helfen einer Person enorm, während sie bei einer anderen das Gegenteil bewirken. Auch der Zeitpunkt der Anwendung spielt eine Rolle. Es bleibt also ein fortlaufendes Ausprobieren.
Denn: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Wenn etwas positiv wirkt, kann es auch eine Kehrseite geben. Selbst ein Placeboeffekt bringt immer die Möglichkeit eines Noceboeffekts mit. Und gerade wenn wir über Gleichgewicht auf dem Pferd sprechen, sollten wir sorgfältig abwägen, was wir uns zutrauen – lieber einen Schritt weniger riskieren als einen zu viel.


